Kochen in der Gastronomie muss nicht immer etwas mit Kunst zu tun haben. In vielen Küchen herrscht inzwischen das Diktat der Checkliste – von Systemgastronomie ist dann die Rede. Doch es gibt sie noch, die kleinen Häuser in denen die Kreativität die Triebfeder des kulinarischen Ganzen ist. Eine US-amerikanische Serie hat ihnen nun ein sehenswertes Denkmal gesetzt.

Einen Blick in die Küche zu erhaschen, den Ort zu sehen „where the magic happens“, diese Chance bleibt den Gästen der meisten Restaurants wohl verwehrt. In vielen Fällen ist das aber eher ein glücklicher als ein unglücklicher Umstand. Denn wenn gastrounerfahrene Gäste den rauen Umgangston und die schweißtreibende Mischung aus Akkord und Hitze einmal mit eigenen Augen sehen und Ohren hören, dürfte bei den meisten wohl der himmlischen Zauber verfliegen, der einem durch das wohlige Ambiente von Kochshows und Promi-Dinner vorgegaukelt wird. Wer sich trotz alledem in die Niederungen der kulinarischen Werkbank wagen möchte, der kann in der Serie „The Bear“ den Sternekoch Carmy (gespielt von Jeremy Allen White) dabei beobachten, wie er der Sandwichladen seines verstorbenen Bruders übernimmt und versucht auf neue Beine zu stellen.
Vom Sandwich zur Gourmet-Küche
Geplagt von finanziellen Schwierigkeiten macht er sich mit einem Team sturer Charakterköpfe daran, die Stammkundschaft im Chicagoer Stadtteil River North mit Italian Beef Sandwiches zu versorgen, einer Spezialität der italo-amerikanischen Küche, die sich vor allem in der Windy City großer Beliebtheit erfreut. Drogenmissbrauch und die Unzuverlässigkeit des Teams, aber auch die hohe Kriminalität in Chicago und nicht zuletzt das Gesundheitsamt bedrohen den Fortbestand des kleinen Ladens fast täglich. Trotz dieser Probleme und Sorgen hält Carmy den Laden am Laufen, gewinnt mit Sydney (Ayo Edebiri) sogar eine kreative Mitstreiterin und probiert immer wieder neue Variationen auf der Speisekarte des kleinen Ladens.

Geprägt ist die acht Folgen umfassende erste Staffel vor allem von einer extrem hohen Schlagzahl. Das Tempo und die Hektik der Gastronomie werden von Regisseur Christopher Storer beeindruckend eingefangen. Zwischendurch lässt Storer seinen Charakteren und dem Publikum aber auch etwas Zeit, sich durch den beständigen Selbstzweifel Carmys zu winden oder sich voll und ganz der kulinarischen Schönheit einzelner Gerichte hinzugeben. Nur einen Moment zum Entspannen oder zum Durchatmen wird dem Publikum nicht gegönnt. Denn kaum ist etwas Ruhe in die Küche eingekehrt, droht auch schon das nächste Fanal alles auf links zu drehen. Klar, das Storytelling einer Fernsehserie kann sich eben keinen Stillstand leisten.
Stilwechsel in zweiter Staffel
Erst die zweite Staffel drosselt das Tempo – allerdings nur oberflächlich. Carmy will aus dem Sandwichladen ein gehobenes Restaurant machen – ohne jedoch auf sein Küchenteam aus der ersten Staffel zu verzichten. Statt beim Kochen sehen wir den Cast der Serie nun als neugierige Praktikanten in anderen Küchen über Schulter schauend, über der Buchhaltung verzweifelnd aber auch immer wieder beim kulinarischen Entdecken und Probieren. Man spürt, wie sich das Team mit dem neuen Restaurant auch weiterentwickeln und damit beweisen will, dass es mit den Aufgaben wächst. Schritt für Schritt scheinen sich die Charaktere von ihren einstigen Rollen zu distanzieren – um im dramaturgischen Finale dann ganz anders und trotzdem wieder voll bei sich zu sein. Eine starke und berührende Leistung der Schauspieler, die von Christopher Storer nahezu perfekt in Szene gesetzt wurde.
Wer sich auf „The Bear“ einlässt, sollte vorsichtig sein. Die Serie kommt zunächst wie eine dramaturgische Interpretation von Anthony Bourdains Küchen-Dokumentationen daher. Am Ende ist es aber vor allem ein tiefer Blick in die Seele leidenschaftlicher Köche, dessen Suchtgefahr schon nach nur wenigen Minuten enorm ist. Da noch unklar ist, ob es eine Drittel Staffel der Serie geben wird, müssen Zuschauer wohl mit starken Entzugserscheinungen rechnen. Die zu lindern, dürfte nur mit zahleichen Besuchen in schönen Restaurants möglich sein.
Beide Staffeln der Serie können über Disney+ gestreamt werden.